Gavel and money

Ich möchte hier mal einige Dinge zum Thema Zuzahlung bei Zahnspangen bzw. kieferorthopädischen Behandlungen darlegen, weil gerade wieder einige Berichte durch die Presse schwirren, die doch sehr nach „Auftragsarbeiten“ aussehen, weil sie mir meist etwas sehr weit hergeholt, oberflächlich recherchiert und einseitig tendenziös erscheinen, auch wenn ich davon überzeugt bin, dass es auch in unserer Branche schwarze Schafe gibt. Ein Bericht erschien in der FAZ,  von dem einen oder anderen Medium wurde er aufgegriffen und ausgebaut („Kieferorthopäden zocken ab“). Dennoch muss das Thema inhaltlich und fachlich ausdifferenziert werden, und gerade für letzteres sind Krankenkassen und Journalisten mangels Fachkompetenz nicht gerade geeignet.

Nichts desto trotz ist mir klar, dass das Thema viele Eltern beschäftigt und zu Recht möchten sie beraten und aufgeklärt werden, warum und weshalb etwas getan wird und ob dies notwendig ist. Generell werden kieferorthopädische Leistungen, solange sie in die KIG-Bewertung fallen, von den gesetzlichen Krankenkassen bezuschusst. Eine kieferorthopädische Behandlung hat oft mehrere Teile. Oft wird mit einer herausnehmbaren Zahnspange, wie einem Bionator oder Dehnplatte begonnen bzw. vorgearbeitet. Diese Behandlung wird von den Krankenkassen komplett übernommen, Zuzahlungen entstehen da keine.

Wenn alle Zähne vorhanden sind erfolgt oft der nächste Schritt, die Behandlung mit einer Multibandapparatur, auch „feste Spange“ genannt. Bei diesem Zahnspangentyp gibt es höchst unterschiedliche Varianten in allen Preisklassen. Da wird von den gesetzlichen Krankenkassen nur das „Basismodell“ bezuschusst (nach Sozialgesetzbuch V, § 12: „ausreichend, zweckmäßig und wirtschaftlich“). Die medizinischen Unterschiede in ihrer Wirkung für die von uns benutzten Systeme habe ich auf unserer Kieferorthopädie-Seite kurz dargelegt. Auf dem Markt tummeln sich aber sehr viele Hersteller, deren Produkte sich sowohl in der Materialqualität (z.B. nickelfreie Brackets, Keramikbrackets, Kunststoffbrackets) als auch in ihrer Funktionalität (selbstligierende Brackets, Lingualbrackets) unterscheiden. Hier entsteht die erste Möglichkeit für eine Zuzahlung, denn die Preise für solche Brackets variieren zwischen 4€ und 30€. Welches Bracketsystem möglich oder nötig ist hängt im Wesentlichen von der Erfahrung des behandelnden Kieferorthopäden ab. Das gilt auch für die kieferorthopädischen Bögen. Die hochwertigeren bzw. teureren entfalten ihre vollen Kräfte z.B. erst ab einer bestimmten Temperatur und können auch bei zu hoher Spannung durch Kühlung (z.B. spülen mit kaltem Wasser) etwas entspannt werden, was gerade bei großen Fehlstellungen hilfreich ist und gerade in der Anfangsphase zu weniger Beschwerden führen kann. Dafür sollte es natürlich eine Beratung geben, in der darüber aufklärt wird, denn die teils schwierige und komplexe Auswertung der Modelle und Röntgenbilder, nach der vom Behandler entschieden wird, welches Equipment benutzt wird, kann vom Patienten natürlich nicht nachvollzogen werden. Daher machen wir in unserer Praxis dafür einen eigenen Beratungstermin aus. Da letztlich aber die Hauptverantwortung für den Behandlungserfolg beim Behandler liegt, ist natürlich auch nachvollziehbar, dass dieser sich eher ungern von der Krankenkasse oder der Politik vorschreiben lassen will, was für Werkzeug er benutzt. Ein Bäcker wird sich nicht sein Mehl, ein Handwerker nicht sein Werkzeug und ein Kieferorthopäde nicht sein Bracketsystem vorschreiben lassen. Voraussetzung für einen Konsens zwischen Patient und Behandler ist auch hier das Vertrauen, das nur durch Kommunikation entstehen kann. Wer glaubt, sein Kieferorthopäde „zocke“ ihn ab, sollte also besser überlegen, ob er nicht den Behandler wechselt.

Fakt ist allerdings, dass die Auswahl des Bracketsystems und der Bögen nicht den Behandler reich macht, sondern lediglich den Hersteller, denn den Kieferorthopäden und kieferorthopädisch tätigen Zahnärzten ist vom Gesetzgeber konkret vorgeschrieben, wie hoch der Aufschlag auf Materialien sein darf. Im Klartext heißt das, die Brackets und Bögen sind Durchlaufposten, die nicht verkauft werden dürfen. Wir üben einen sogenannten freien Beruf aus, wir bieten also eine Dienstleistung an. Wir betreiben kein Gewerbe und dürfen daher keine Waren (bis auf kleine Ausnahmen) verkaufen. Dazu gibt es auch ein höchstrichterliches Urteil. In lesbares Deutsch übersetzt heißt das, Zahnärzte, Kieferorthopäden und Chirurgen dürfen keine Materialien etc. verkaufen. Lediglich wenn die Kosten einen großen Teil des Honorars aufbrauchen, dürfen sie auf der Rechnung angesetzt werden, allerdings ohne Zuschläge. Auch Rabatte etc. müssen an den Patienten weitergegeben werden. Daher stehen keine Füllungsmaterialien und verbrauchte Bohrer auf einer Zahnarztrechnung. Brackets oder Implantate schon, aber eben als Durchlaufposten. Das wissen die Journalisten und Kassen sicherlich auch, allerdings passt es wohl besser ins Feindbildschema, die Unwahrheit zu verbreiten, dass Kieferorthopäden etwas davon hätten, das teuerste Bracketsystem zu verkaufen oder aber ein billiges Bracketsystem teuer zu verkaufen.

Ein weiterer Kostentreiber sind meist die Prophylaxemaßnahmen, wie z.B. die begleitende professionelle Zahnreinigung und die sogenannte Glattfächenversiegelung. Die Zahnreinigung samt Mundhygieneunterweisung wird in aller Regel bei den Bogenwechseln gemacht, wenn Bedarf besteht. Meist ist das 4-5 Mal der Fall. Die Glattflächenversiegelung wird beim Aufkleben der Brackets durchgeführt. Dabei wird die gesamte vordere Zahnfläche, also da, wo die Brackets sitzen, mit einem dünnen, unsichtbaren und lang haftenden Schutzlack versiegelt.  Dieser verhindert, dass die säurehaltigen Beläge Schäden an den Zähnen verursachen können. Dieser Lack macht allerdings eine gute Mundhygiene nicht überflüssig. Viele Eltern werden mir sicher recht geben, wenn ich sage, dass die feste Zahnspange in einer Lebensphase eingesetzt wird, in der einige Kinder etwas schwieriger sein können und in der die Mundhygiene nicht zwingend einen vorderen Stellenwert einnimmt. Gerade bei Multibandapparaturen kann dies aber verheerende Folgen haben. Die Brackets sind leider nicht einfach zu reinigen. Daher lagern sich bei schlechter Mundhygiene relativ schnell Beläge an den Rändern ab. Diese Beläge wiederum haben einen sauren pH-Wert. Wenn diese sich über Tage und Wochen auf dem Zahn befinden, demineralisieren die Säuren dieser Beläge die Zähne. Die Folge sind weiße Ränder um die Brackets, die wiederum zu Karies, also Löchern führen können.

Karies nach Multiband

Karies und white spots nach Multiband

Um solche Bilder möglichst zu vermeiden, bieten viele Kieferorthopäden, kieferorthopädisch tätige Zahnärzte und auch wir diese begleitenden Prophylaxemaßnahmen an. Es ist sicherlich verständlich, dass Eltern, denen sich nach Entfernung einer festen Spange solch ein Bild bietet, zu Recht fragen, wie sowas passieren kann. Juristisch kann das für einen Behandler auch teure Folgen haben. Sinn einer Zahnregulierung kann letztlich ja nicht sein, gerade aber kaputte Zähne zu haben. Leider sehen das die meisten gesetzlichen Krankenkassen etwas anders, wenngleich auch da inzwischen ein langsames Umdenken zu beobachten ist. Eine gute Mundhygiene ist nach deren Ansicht Privatsache und selbstverständlich, Prophylaxe ist Luxus und wird damit nicht erstattet. Wir erinnern uns: „ausreichend, zweckmäßig und wirtschaftlich“. Dennoch, ein Richter würde zuerst einmal Fragen, ob solche Schäden nicht zu vermeiden gewesen wären. Die Antwort wäre: “ Ja, durch Prophylaxe“. Wird diese also nicht zumindest angeboten, würde ein Behandler fahrlässig handeln. In Extremfällen bliebe dann nur noch übrig, die Behandlung auf Grund der schlechten Mundhygiene abzubrechen.

Müssen diese Maßnahmen aber immer sein? Immer sicher nicht, leider kann man die Notwendigkeit natürlich auch nicht immer vorhersehen. Wenn sich die Mundhygiene schon von vorne herein als nicht ausreichend zeigt, lehnen wir das Einsetzen eines Multibandes ab, bis die Mundhygiene zufriedenstellend ist. Ist die Mundhygiene perfekt, dann spricht nichts dagegen, wenn die Prophylaxe gestrichen wird. Außerdem spricht auch nichts dagegen, die Zahnreinigung noch nachträglich in die Behandlung einzubringen. Schließlich ist es auch nicht für alle möglich, mal eben hunderte von Euro für Begleitleistungen zu investieren. Dennoch sollte jedes Kind die Möglichkeit haben, mittels einer Zahnspange ästhetisch und funktionell intakte Zähne zu haben. Letztlich kommt man aber immer zum selben Fazit. Entscheidend ist die Kommunikation und die Beratung.  Man darf nicht jeden Behandler verurteilen, der solche Leistungen anbietet. Jedoch sollte es nicht darauf hinauslaufen, dass einem sämtliche Leistungen, die nicht immer alle notwendig sind, aufgezwungen werden.

Ein letzter Punkt ist die manchmal angebotene manuelle Funktionsanalyse, die leider auch keine Kassenleistung laut SGB V ist. Generell ist sie ohne Kiefergelenksprobleme nicht zwingend notwendig. Dennoch sollte ein kurzes Screening vor der Behandlung durchgeführt werden, denn das wird von Gerichten als Standard vor jeder umfangreicheren prothetischen oder kieferorthopädischen Behandlung vorausgesetzt und ist auch wichtig, um Kiefergelenksprobleme entweder auszuschließen oder wenn nötig zu behandeln. Wir führen eine umfangreiche Funktionsanalyse deshalb auch nur durch, wenn es Anhaltspunkte für Beschwerden im Bereich des Kiefergelenkes gibt. Auch sollte erwähnt werden, dass diese Art der Untersuchung von Behandlern oft als juristische Absicherung gesehen wird. Treten nach der Behandlung Kiefergelenksprobleme auf, schützt eine vorab durchgeführte Untersuchung halbwegs vor Regressen.

Sollte ich etwas vergessen haben oder bestehen noch Fragen, ich freue mich auf Kommentare.

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